(GESCHICHTS-)WISSENSCHAFT IM OHR

 

Statue, Bibliothek, Geschichte, unsplash.com, Giammarco Boscaro
Matthias von Hellfeld ist der Historiker aus den “prallgefüllten Schatzkammern der Menschheitsgeschichte”. In dem Podcast Eine Stunde History sprechen er und seine Redaktion mit Wissenschaftler*innen über Themen aus deren Forschung. Zehntausende hören jede Woche begeistert zu. Max hat nachgefragt, ob sich Podcasts für die Wissenschaftskommunikation eignen.

Eine Stunde History startete im Jahr 2016. Seither lädt die Redaktion um den Historiker Matthias von Hellfeld jede Woche Wissenschaftler*innen ein, um mit ihnen über ein geschichtliches Thema zu sprechen. Versailler Vertrag, Immanuel Kant oder das Massaker auf dem Tiananmen-Platz – inzwischen hat die Sendung ein breites Themenfeld abgegrast. Der Podcast ist mittlerweile einer der erfolgreichsten im deutschsprachigen Raum und gewann dieses Jahr den Deutschen Podcastpreis. Und all das, obwohl über vermeintlich öde Wissenschaft gesprochen wird. Max hat mit Matthias von Hellfeld über das Format, Schwierigkeiten und Chancen für die Wissenschaftskommunikation gesprochen.

Max: Eine Stunde History ist kein reiner Wissenspodcast. Aber neben Gesprächen und Hörspielelementen kommen regelmäßig Wissenschaftler*innen zu Wort. Warum funktioniert das in Ihrem Podcast-Format, ohne dass die Leute gelangweilt abschalten?

Matthias von Hellfeld: Wir versuchen nicht nur, Geschichten zu erzählen, sondern schaffen auch immer einen Bezug zu heute. Das heißt, wir versuchen unseren Hörer*innen zu erklären, was das mit heute zu tun hat: Du bist ein Teil der Geschichte. Auch, wenn du das so nicht merkst, aber du bist auch Produkt der Dinge, die vor dir geschehen sind. Da ist Geschichte ein gefundenes Fressen. Wir suchen unsere Themen auch nach diesem Kriterium aus.

“Ich mache nur das Schmiermittel”

Max: Sie sprechen in Ihrem Podcast über geschichtliche Themen. Wie wichtig ist der Auftritt von Wissenschaftler*innen in dem Format?

Matthias von Hellfeld: Ich bin ja selbst Historiker, aber ich mache nur das Schmiermittel sozusagen. Ich selber tappe ja am Anfang einer Sendung selber im Dunkeln. Ich brauche die Expertise von Menschen, die sich aktuell damit beschäftigen. Ein Beispiel: Unsere Sendung zur Völkerwanderung begann mit der Erkenntnis, dass es sie so nicht gegeben hat, wie ich es noch in der Schule gelernt habe, und die Quellenlage in römischer Zeit sehr mangelhaft ist. Das wusste ich vorher auch nicht. Dafür kommt dann ein/e Wissenschaftler*in in die Sendung und das uns und unseren Hörer*innen begründet. Wichtig ist, dass sich die Wissenschaftler*innen von ihrer hohen Sprachkultur herabgeben, sodass alle Hörer*innen sie auch verstehen können.

Max: Ich kann mir vorstellen, dass das manchen schwerfällt?

Matthias von Hellfeld: Die meisten haben damit kein Problem, aber generell geht das immer besser im Gespräch, als wenn sie vom Blatt ablesen. Manche Fragen von uns sind für die Wissenschaftler*innen auch irritierend. So müssen sie etwa auch auf das Reingrätschen unserer jungen Moderation eingehen, die dann auch mal sowas sagen wie “Ups, dann kam die Demokratie!”. Zwar sind manche Antworten auf solch spontane Einwürfe unpräziser, aber es geht ja auch gar nicht darum, eine Vorlesung zu halten. Leute sollen auf den Geschmack gebracht werden und das funktioniert offenbar prächtig. Wir haben jede Woche 50.000 Leute, die uns bei Spotify und iTunes downloaden. Auch Abiturklassen hören den Podcast, weil sie gerade ein Thema behandeln, worüber wir sprechen. Wir kriegen einen guten Rücklauf. Leute schlagen Themen vor. Es melden sich auch Wissenschaftler*innen etwa aus der Psychologie, die sich Themen wünschen. Andere fragen einen dann, warum das so ist, wie es ist.

Max: Ist das nicht ein zweischneidiges Schwert ist? Auf der einen Seite muss man abwägen, ob es unterhaltsam ist. Auf der anderen Seite steht aber auch die Frage, ob die Sprache ein bisschen der Seriosität schaden könnte. Ein Beispiel: Sie werden ja immer angekündigt als der Historiker “aus den Schatzkammern der Menschheitsgeschichte”.

Matthias von Hellfeld: Ja, das ist ein Balance-Akt. Wir haben manchmal auch sprachliche Ungenauigkeiten, die uns auch aufs Butterbrot geschmiert werden. Und manchmal sage ich auch intern “Leute, so geht das jetzt wirklich nicht”, zum Beispiel bei unseren kleinen Hörspielbeiträgen. Wir lassen aber auch absichtlich viele Freiräume. Daraus entstehen auch tolle Ideen: Wir hatten einen Beitrag über die Gründung der republikanischen Partei. Wir haben das als Twitter-Kommunikation gestaltet. Da sitzen Abraham Lincoln und noch ein paar Gründerväter und twittern mit den kurzen Sätzen und den Ausdrücken von heute. Am Schluss machen sie ein Doodle, um sich zur Gründungsveranstaltung zu treffen.

Wie viel Reduktion ist vertretbar?

Max: Kriegen Sie auch kritische Rückmeldungen aus der Fachwelt zurück?

Matthias von Hellfeld: Also ich habe eine bekommen zu unserer Sendung zur spanischen Inquisition. Ein Professor, der daran beteiligt war, sagte mir, dass ihm die Form der Sendung nicht gefiel. Das ist auch okay. Wenn wir versuchen zu erklären, ein so komplexes Thema in drei bis vier Minuten zu erklären, muss das ungenau sein. Für jemanden, der darüber dicke Bücher geschrieben hat, ist das natürlich lächerlich.

Max: Das ist natürlich ein generelles Problem, was mit dem gewählten Kommunikationskanal mitschwingt.

Matthias von Hellfeld: Ja, ich habe dafür eine Schere mit zwei wesentlichen Gedanken pro Sendung im Kopf. Erstens: Die Verbindung zwischen früher und heute und die Erkenntnis, dass Geschichte immer ein Teil von dir ist. Daraus folgt zweitens: Du bist verantwortlich für das, was Politik heute ist, denn Politik ist die Geschichte von morgen. Und Geschichte war Tagespolitik der Vergangenheit.

Max: Würden Sie auch sagen, dass sich dieses Format auch auf andere Fächer übertragen lässt?

Matthias von Hellfeld: Ich glaube schon, dass das Format übertragbar ist. Man braucht nicht bei allen Themen Bilder, oftmals ist das Podcast- oder Radioformat sehr passend.

“Eine Stunde History” könnt ihr über Podcast-Anbieter wie Spotify und iTunes hören, oder direkt auf der Homepage von Deutschlandfunk Nova. Auch das Projekt TRANSFER TOGETHER hat sich inzwischen an einem eigenen Podcast versucht. Ihr findet ihn ebenfalls auf allen gängigen Plattformen und auf unserem Blog.

“Ihr müsst Scharnier sein”

Max: Finden Sie, die Wissenschaft trägt eine gesellschaftliche Verantwortung, sich an solchen Formaten und Diskursen zu beteiligen?

Matthias von Hellfeld: Ja! Da rennen Sie bei mir wirklich offene Türen ein. Es gibt so einige Historiker*innen, denen liege ich ständig in den Ohren, mehr zu machen. Ich sage denen aber auch: Ihr müsst Scharnier sein. Der Rahmen ist die Universität und die Türplatte sind die Menschen. Und dazwischen braucht es ein Scharnier – und das bin dann gerne ich. Es gibt Wissenschaftler*innen, die können das perfekt, andere wiederum würden nie auf die Idee kommen, bei so einem Format mitzumachen. Ich finde aber schon, dass Historiker*innen das leisten müssen. Da gibt es auch eine politische Verantwortung.

Max: Was würden Sie jemandem mitgeben, der/die damit liebäugelt, einen eigenen Podcast zu starten oder generell mehr über die eigene Forschung sprechen will?

Matthias von Hellfeld: Das allerwichtigste ist, man muss davon total überzeugt sein. Der Aufwand, den ich betreibe ist gewaltig, aber es macht mir auch wahnsinnig Spaß. Wenn es nicht Spaß machen würde, würde ich es nicht machen. Außerdem muss man von der wissenschaftlichen Sprache Abstand nehmen: Sie sollten darauf achten, so gut wie möglich umgangssprachlich zu formulieren. Wenn das nicht geht, muss man die Begriffe gut erklären. Man muss bei der Erklärung Worte wählen, die heute geläufig ist. Ich denke, man sollte sich etwa am Tagesschau-Niveau orientieren.

Max: Vielen Dank für das spannende Gespräch!

Das Gespräch führte Max Wetterauer. Transkribiert wurde die Aufzeichnung von Anna Duechting.

Max Wetterauer, Team, Transfer Together
Max Wetterauer

Open Science und Social Media sind die großen Baustellen, an denen Max im Bereich Offene Hochschule tüftelt. Wenn ihm die 280 Zeichen auf Twitter mal nicht ausreichen, stillt er seinen Schreibdurst mit Artikeln hier auf dem Blog. Zu Max’ Projektseite.

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Comments (1)

[…] ganz konkret für wissenschaftliche Themen. Kein Wunder also, das Wissenschaftspodcasts wie etwa Eine Stunde History zu den beliebtesten im deutschsprachigen Raum […]

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