WISSENSCHAFT ZUM MITMACHEN

 

Handy, Smartphone, unsplash.com, Drew Hays
Spazieren gehen in freier Natur, frische Luft und Blüten anschauen – so schön kann Wissenschaft sein. Bei der Apfelblütenaktion könnt ihr selbst aktiv werden und eure Blüten-Sichtungen dokumentieren, ganz im Dienste der Wissenschaft. Citizen Science nennt sich dieses Mitmach-Format, das jedes Jahr vom SWR gemeinsam mit der Abteilung Geographie – Research Group for Earth Observation (rgeo) der Pädagogischen Hochschule Heidelberg organisiert wird. Wie funktioniert das in der Praxis, welchen Nutzen hat das für die Wissenschaft – und wie könnt ihr mitmachen?

Alexander Siegmund leitet die Abteilung Geographie der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und ist Inhaber des dortigen UNESCO-Lehrstuhls für Erdbeobachtung und Geokommunikation sowie Geschäftsführender Direktor des Heidelberger BNE-Zentrums. Im Interview mit Max erklärt er, wie das Apfelblütenprojekt entstanden ist, wie die Daten ausgewertet werden und welche Chancen er in Citizen-Science-Projekten sieht.

Max Wetterauer: Herr Siegmund, worum geht es beim Apfelblütenprojekt?

Alexander Siegmund: Das Apfelblütenprojekt geht auf die Wissenschaftsredaktion des SWR zurück. Der Journalist Uwe Gradwohl hatte 2006 Zuschauer*innen erstmals dazu aufgerufen, die Entwicklung der Apfelblüte zu dokumentieren und der Redaktion die Daten zu schicken. Er wertete die Daten schließlich von Hand aus. Vor ein paar Jahren ist er dann auf uns zugegangen, die Daten wissenschaftlich exakter, räumlich genauer und zeitlich hochauflösender auszuwerten.

Ab Ende März, Anfang April bekommen wir die ersten Meldungen über die Sichtung von Apfelblüten aus ganz Deutschland – dank Webradio und Satellitenfernsehen teilweise auch aus anderen Teilen Europas, von Portugal bis Finnland. Wir kümmern uns dann um die Aufbereitung der Daten und visualisieren sie dreimal pro Woche in Form von deutschlandsweiten Apfelblütenkarten. Wir berücksichtigen dabei das Gelände, die klimatischen Gegebenheiten und die Qualität der Meldungen. So entstehen dreimal pro Woche aktuelle Verbreitungskarten von Blühbeginn, Vollblüte und Ende der Blüte in Deutschland. Wir machen auch eine Vorhersage, wo man in den nächsten zwei bis drei Tagen mit der Blüte rechnen kann. Dann kann das SWR sagen: “Aufpassen, Sachsen-Anhalt! Bei euch müsste es bald losgehen!”

“Alle können mitmachen!”

Max Wetterauer: Wo kann man sich diese Karten und Prognosen ansehen?

Alexander Siegmund: Auf der Website des SWR und gelegentlich auch in den Wetternachrichten vor acht der ARD, in der Landesschau und  in den Tagesthemen.

Max Wetterauer: Müssen Bürger*innen irgendwelche Kenntnisse mitbringen, um an der Aktion teilzunehmen?

Alexander Siegmund: Nein, das Format ist komplett offen für alle. Es gibt zwar einige Hinweise, worauf man achten soll, aber alle Interessierten können mitmachen. Das SWR hat eine spezielle App entwickelt und ein Formular auf der Website. Es gibt auch die Möglichkeit, Fotos von blühenden Apfelbäumen hochzuladen. Das ist für uns immer ein besonderes Qualitätskriterium. Wir sehen dann, ob es wirklich ein Apfelbaum ist und keine Birne oder um welches Blütenstadium es sich handelt. Auch eine genaue GPS-Positionierung macht die Daten wertvoller.

Max Wetterauer: Stichwort Transfer – worin sehen Sie den Mehrwert für Wissenschaft und Öffentlichkeit in solch einer Aktion?

Alexander Siegmund: Ich sehe zwei wesentliche Punkte: zum einen den fachlichen Aspekt. Schauen wir uns das phänologische Beobachternetz vom Deutschen Wetterdienst an. Das sind geschulte Laien, die freiwillig das ganze Jahr phänologische Phasen von Pflanzen kartieren und dokumentieren. Doch die Zahl der Melder wird immer geringer, es findet sich kaum Nachwuchs und das offizielle Meldenetz dünnt aus. An dieser Stelle kommen solche Citizen-Science-Projekte zum Tragen: Sie haben eine große geographische Reichweite, sind unkompliziert verwaltet und alle, die Interesse daran haben, können teilnehmen. Die Datengrundlage ist am Ende auf eine viel breitere Basis gelegt – und unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Qualität der Meldungen fast identisch ist zu denen des DWD.

Unter Citizen Science versteht man eine Form der Offenen Wissenschaft (“Open Science”), in deren Rahmen Menschen außerhalb des akademischen Betriebs mit in den Forschungsprozess einbezogen werden, beispielsweise durch das Sammeln oder Auswerten von Datensätzen. Die größte Plattform für Citizen-Science-Projekte im deutschsprachigen Raum ist Bürger schaffen Wissen.

Das Team in der Abteilung Geographie wertet die Daten aus.

Bewusstsein für den Klimawandel schaffen

Alexander Siegmund: Zum anderen schaffen wir mit dem Projekt ein Bewusstsein für wissenschaftliche Fragestellungen in der Öffentlichkeit, wie etwa dem Klimawandel. Der lässt sich anhand der Apfelblüten sehr gut sichtbar machen: In den letzten 13 Jahren können wir sehen, dass die Blüte generell früher beginnt – der Klimawandel schlägt hier durch.

Das Projekt liefert also nicht nur Daten, die wir wissenschaftlich auswerten können (z.B. in zwei Publikationen), sondern bringt auch Herausforderungen und Fragestellungen der Wissenschaft in die Öffentlichkeit. Das ist ja der Sinn von Citizen Science. Daran wollen wir weiterarbeiten.

Max Wetterauer: Können Sie sich vorstellen, auch weitere Citizen-Science-Projekte ins Leben zu rufen?

Alexander Siegmund: Auf jeden Fall! Wir haben schon versucht, ein weiteres Projekt aufzubauen, das einen stärkeren Fokus auf die “Crowd” legt. Sobald man seine Daten abgeschickt hat, sollten die Melder*innen ein Feedback bekommen: “In deiner Region haben schon zehn Leute gemeldet, in deiner Nachbarregion aber schon 20.”

Max Wetterauer: Das ginge dann in Richtung Gamification?

Alexander Siegmund: Ja, ein Stück weit schon. Damit könnte man die Crowd motivieren und stärker aktivieren. Im Endeffekt erhielten wir noch mehr und bessere Daten – und gleichzeitig wäre es der Kreislauf zwischen Crowd und Wissenschaft enger.

Mehr als nur eine PR-Aktion

Max Wetterauer: Hat sich Ihre Einstellung zu Citizen-Science-Projekten nach der Apfelblütenaktion verändert?

Alexander Siegmund: Ja, definitiv. Ich hatte bei der Anfrage des SWR anfangs Zweifel, weil ich dachte, es handele sich um eine reine PR-Aktion für den Sender und auch die Abteilung Geographie. Aber als wir die Daten ausgewertet hatten und sich zeigte, wie qualitativ hochwertig die Daten waren, waren wir alle überzeugt. Ich kann mir daher gut vorstellen, dass man das auch auf andere Projekte ausdehnt.

Max Wetterauer: Stehen denn weitere Mitmach-Projekte an?

Alexander Siegmund: Ja, mit der Förderung der Audi-Stiftung für Umwelt haben wir das neue Projekt Streuobstwiesen in Bad Schönborn initiiert. Dort gibt es riesige Streuobstwiesenbestände, allerdings kümmert sich kaum noch jemand um die Bäume. Viele haben einen schlechten Pflege- und Vitalitätszustand. Wir möchten den Bestand jetzt qualitativ und quantitativ erfassen – und da ist es natürlich hilfreich, wenn man Menschen vor Ort hat, die nachschauen, wie es den Bäumen geht. Die Daten können wir wiederum mit unseren Drohnendaten vergleichen, um auf den gesamten Bestand zu schließen. Wir arbeiten derzeit an dieser Idee. Das ist nicht direkt Citizen Science, aber wir möchten trotzdem die Menschen vor Ort und ihre Expertise miteinbeziehen.

Max Wetterauer: Viel Erfolg – und vielen Dank für das Interview!

Max Wetterauer, Team, Transfer Together
Max Wetterauer

Open Science und Social Media sind die großen Baustellen, an denen Max im Bereich Offene Hochschule tüftelt. Wenn ihm die 280 Zeichen auf Twitter mal nicht ausreichen, stillt er seinen Schreibdurst mit Artikeln hier auf dem Blog. Zu Max’ Projektseite.

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Comments (1)

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