DIGITAL DETOX IM SELBSTTEST

Im Teilprojekt Internetsuchtprävention beschäftigen wir uns damit, wie die Entstehung einer Internetsucht verhindert und wie Betroffenen am besten geholfen werden kann, aus dem Suchtteufelskreis auszusteigen. Doch wie steht es um unsere eigene Internetnutzung? Sind wir vielleicht selbst zu oft und zu lange online und was können wir dagegen tun? Sophie, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, und Maria, Fallmanagerin in der Computerspiel- und Internetsuchtprävention an Schulen im Rhein-Neckar-Gebiet haben fünf Wochen lang Digital-Detox-Apps ausprobiert und berichten von ihren Erfahrungen.
Vielleicht durch unsere Tätigkeit bedingt halten wir viele der empfohlenen Digital-Detox-Maßnahmen bereits ein, obwohl auch wir natürlich täglich unsere Smartphones brauchen – vor allem, um Nachrichten zu schreiben, zu telefonieren und zu surfen. Doch es gibt Tage, an denen Maria die Nachrichtenflut und das ständige Erreichbar-sein-müssen so sehr auf den Keks geht, dass sie ihr Handy auch mal für 2 oder 3 Tage ganz weglegt. Sophies Kalender ist 100% offline und sie hat nur noch die wichtigsten Apps auf dem Handy.
Wozu überhaupt Digital Detox?
Wir liegen wohl beide unter dem Durchschnitt von 2,5 Stunden täglicher Handynutzung und 50 Bildschirm-Entsperrungen. Und trotzdem stören uns die häufigen Unterbrechungen: Ob wir arbeiten, ein Buch lesen oder spazieren gehen – ständig fordert das Smartphone unsere Aufmerksamkeit und ist eine mal mehr und mal weniger willkommene Ablenkung.
Kann eine App uns dabei helfen, auch mal längere Zeit ohne Smartphone konzentriert zu sein?
Die App Forest – “Zurück an die Arbeit!”
Bei Forest geht es ums Bäumepflanzen. Das Prinzip ist denkbar einfach: Ich stelle eine Zeitspanne ein, die ich ohne Blick aufs Smartphone verbringen möchte (maximal 120 Minuten). In dieser Zeit wächst ein schöner Baum heran – vorausgesetzt ich benutze mein Handy nicht. Wenn doch, warnt mich die App “Dein Baum wächst noch. Um den Wald zu verlassen, musst du zuerst deinen Baum töten.” Durch erfolgreiches Bäumepflanzen können Punkte gesammelt werden, die für schönere Gewächse wie Kirschblüten oder einen Kokosnussbaum eingelöst werden können. Mit dem Upgrade zur Pro-Version können auch echte Bäume gepflanzt werden, da ein Teil der Einnahmen an Baumpflanzaktionen gespendet wird. Wir haben uns für den Test jedoch auf die Gratis-Version beschränkt.
Meine Erfahrungen mit Forest
In den letzten Wochen ist ein beträchtlicher Wald gewachsen und es war leichter als gedacht, selbst die maximal einstellbaren 120 Minuten ohne Smartphone durchzustehen. Außerdem bietet Forest ein sehr nützliches Add-On für den Webbrowser: Hier können ebenfalls Bäume gepflanzt werden, wenn das Surfen auf bestimmten Seiten, die vorab bestimmt werden können, vermieden wird.
Etwas irritierend ist der Effekt nach Ablauf der eingestellten Zeit: Als “Belohnung” für den erfolgreich gediehenen Baum vibriert das Handy, sodass man es gleich in die Hand nimmt, um nachzuschauen, was da gerade passiert und das lenkt dann doch wieder ab. Diese Funktion lässt sich aber ausschalten.
In manchen Fällen ließ sich trotz der Forest-Sperre der Griff zum Handy nicht vermeiden: Manchmal muss man nun mal einen Baum töten, um ein Bahnticket zu buchen oder eine Adresse zu finden. Der virtuelle Baum hielt mich davon nicht ab. Der etwas mahnende Ton, in dem Forest mit mir kommuniziert (“Hör auf zu phubben!”, “Zurück an deine Arbeit!”, “Schau mich nicht so an!”) kann auch etwas irritierend sein und löst ein leichtes Unbehagen aus. Vielleicht hat auch das das Töten der Bäume eher erleichtert, wenn der Griff zum Smartphone notwendig war.
Fruchtet die Idee von Forest?
Die Erfahrung mit Forest hat gezeigt, dass ich mein Smartphone häufig doch nicht so dringend und so oft brauche wie gedacht. Meine nächste Challenge ist die Verlängerung der Smartphone-freien Zeit über 120 Minuten hinaus, und zwar auf eigene Faust – ohne Forest.
Die App Space – “Hey Freund, warum legst Du nicht dein Handy weg und gehst spazieren?”
Die Space-App hat mehrere Funktionen. Man kann zunächst ein Profil erstellen und sich einen Spitznamen geben, mit dem man vom Space-Männchen dann auch ganz persönlich angesprochen wird. Zudem kann man mithilfe der App herausfinden zu welchem Smartphone-Junkie-Typ man gehört: dem Social Sticky Mitt – dazu gehören alle, die aus der Angst irgendetwas zu verpassen, ständig zu ihrem Smartphone greifen; dem Boredom Battler – das sind die Spieler aus Langeweile; die Busy Bee – die fleißigen Bienchen, die ständig ihre Emails checken um zu überprüfen, ob es noch etwas zu erledigen gibt und dem Rabbit-Hole Wanderer – dazu gehören alle, die ihr Smartphone aus guten Gründen in die Hand nehmen und sich dann aber davon ablenken lassen. Ich tippe mich durch die Fragen durch. “Halte dich fest, es wird gezaubert …”: Social Sticky Mitt ist schließlich das Ergebnis meines Schnelltests. Ja, passt durchaus, denke ich.
Doch wie hilft die App, Smartphone-Zeiten zu reduzieren? Man kann auch hier ein bestimmtes Zeitkontingent pro Tag festlegen, das man nicht überschreiten möchte. Auch ist es möglich, die maximale Anzahl an Smartphone Entsperrungen zu bestimmen oder anzugeben, nach wie vielen Minuten Bildschirmzeit man sich vom Space-Männchen unterbrechen oder den Bildschirm dimmen lassen möchte. Zudem kann man eine Konzentrationsphase freischalten. Dann werden zu bestimmten Tageszeiten alle Benachrichtigungen blockiert, wobei auch bestimmte Apps von der Aktivitätenverfolgung ausgeschlossen werden können. Meine Session-Unterbrechung lege ich bei 15 Minuten fest. Meine Konzentrationsphase ist täglich von 10 bis 14 Uhr und die Anzahl an Entsperrungen liegt bei 20 pro Tag. Das Experiment kann beginnen.
Meine Erfahrungen mit Space
In einer Wochenübersicht kann ich sehen wie oft ich mein Smartphone täglich entsperrt und wie lange ich es genutzt habe. Einen wirklichen Fortschritt über die 5 Wochen hinweg kann ich aber leider nicht feststellen: Sowohl die Anzahl an Entsperrungen als auch meine Nutzungszeiten schwanken extrem. An einigen Tagen liege ich weit unter meinem angestrebten Ziel, an anderen Tagen deutlich darüber. Hier wäre es spannend gewesen, die einzelnen App-Nutzungszeiten über einen längeren Zeitraum beobachten zu können, doch diese Funktion bietet die App leider nicht.
Trotzdem hat die App etwas bewirkt. Zwar hat mich das Space-Männchen durch seine Unterbrechungen kein einziges Mal dazu gebracht mein Handy genau in dem Moment aus der Hand zu legen, aber es hat mich mit Sprüchen wie “Just wondering, are you having fun right now?” für einen kurzen Moment aus meiner Aktivität gerissen und mich dadurch zum Nachdenken angeregt: Ist das, was ich gerade mache wirklich hilfreich für mich? Nicht immer bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass meine Handy-Aktivität gerade mein Leben so sehr bereichert.
Ein großer Schritt für eine App …?
Ich glaube nicht, dass die Space-App alleine ausreicht, um die Handynutzung grundlegend zu verändern. Doch denke ich durchaus, dass sie hilfreich dabei sein. Besonders gut gefällt mir, dass man sehr individuell seinen Fortschritt festlegen kann und dadurch sehr autonom ist. Auch finde ich die Unterbrechungen mit den teilweise lustigen Sprüchen des Space-Männchens sehr amüsant. Wenn man die App aber länger benutzt, kennt man irgendwann dann doch alle Sprüche und man ist geneigt sich die Nachricht des Space-Männchens nicht mehr durchzulesen, sondern sie einfach wegzuklicken. Doch gerade für den Anfang, um sich ein neues Nutzungsverhalten anzugewöhnen, kann die App durch ihre Unterbrechungen zum Nachdenken anregen und erste Impulse setzen.

Sophie Kindt
Sophie untersucht, wie wir Mediensucht vorbeugen können und schafft bessere Zugangswege für Hilfsangebote. Neben Workshops mit Pädagog*innen und Jugendlichen entwickelt sie derzeit ein Online-Angebot. Zu Sophies Projektseite und dem Projekt ProTect.

Maria Stoica-Florea
Maria ist Fallmanagerin in der Computerspiel- und Internetsuchtprävention an Schulen im Rhein-Neckar-Gebiet und hat mit Sophie fünf Wochen lang Digital-Detox-Apps getestet.