MI(N)TWIRKEN BEI NADEL, FADEN UND TRANSFER

 

Der Elfenbeinturm, so das Klischee, sei verschlossen und verkrustet. Doch was sagt das überhaupt noch aus, wenn derzeit Third Mission überall großgeschrieben wird? Laura Arndt (MINT-Bildung) verwebt im Blog den Kulturwandel der Hochschullandschaft mit einem neuen Bild: dem der Schneiderin.

Unser Auftrag: Transfer von Bildungsinnovationen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme. Ganz schön … allumfassend? Stimmt. Was ist eigentlich dieses Transfer und was hat das mit MINT zu tun? Das möchte ich konkretisieren am Beispiel unseres Entwicklungsprozesses des MINT-Leitfadens. Denn Transfer ist auch die ein Bindeglied zwischen Theorie und Praxis.

Der Elfenbeinturm

Über dieses Thema habe ich mich schon im Science Slam ausgelassen. Es steht aber leider am Beginn jeder Transfer-Erzählung, denn der Elfenbeinturm ist der Ausgangspunkt jeder schicksalshaften Reise (entschuldigung, kürzlicher Herr der Ringe-Konsum). Nennen wir diese Reise lieber doch etwas trockener “Entwicklungsprozess”.

Der Elfenbeinturm ist Versammlungsort weiser, kauziger Männer, die wissbegierig Forschen und Reden und Forschen. Die ganze Erkenntnis behalten sie für sich. Das ist natürlich ein altmodisches Klischee einer Forschungseinrichtung, nichtsdestotrotz konzentriert sich Wissen und Innovationspotenzial. Das Problem ist allerdings nicht, dass die weisen, kauzigen Männer ihr Wissen nicht teilen wollen – denn sie wissen erst gar nicht, wo all das Expertenwissen nützlich sein könnte. Das Problem ist viel mehr die Verbindung von Bildungsinnovationen und neuen Anwendungsbereichen zu sehen. Genau hier kommt der Vermittler namens Transfer ins Spiel.

Die leere Schublade

Diese Grundlage unserer Projektarbeit ist nun hoffentlich etwas klarer. Und nochmal: Was hat das mit MINT zu tun? Ich werde oft nach diesen konkreten Bildungsinnovation in Form von fertigen Produkten (wie es sie in anderen unserer Teilprojekte gibt) gefragt. Die gibt es leider nicht in meiner Schublade. Ich würde mich eher mit einer Schneiderin vergleichen, die aus dem (Erkenntnis)Stoff Angebote webt, die Bedarfe des MINT-Netzwerkes decken sollen. Zum Beispiel hat sich aus dem Bedarf nach Informationsaustausch und Transparenz das Angebot der “MINT-Infomail” ergeben. Hier werden alle für das regionale Netzwerk interessanten #MINTnews gesammelt, gebündelt und verbreitet. Innovationen werden also frisch bedarfsorientiert entwickelt, eingesetzt, erprobt und optimiert. Netzwerkpartner:innen haben ebenso den Bedarf, dass die eigenen MINT-Lernangebote verstärkt genutzt werden, um letztendlich einen Beitrag zur MINT-Fachkräftesicherung zu leisten. Und diesen Bedarf soll unsere neuste Innovation decken: der MINT-Leitfaden für außerschulische Lernangebote.

Die weisen, kauzigen Männer und die Schneiderin

Es gibt wenige Probleme, bei denen wir bei Punkt Null starten müssen. Es gibt in den meisten Fällen ähnliche Problemstellungen und somit auch mannigfaltige Erfahrungen. Ich muss das Rad nicht neu erfinden. Und hier kommen die weisen, kauzigen Männer ins Spiel, die eigentlich eine vielfältige Community verschiedenster Personen darstellen. Als Pädagogische Hochschule bewegen wir uns in einer bildungswissenschaftlichen Community, in der “Lernwirksamkeit”, “Interesse” oder “Lehrer:innenbildung” nicht nur Schlagworte, sondern Forschungsbereiche mit hoher wissenschaftlicher Expertise. Auch diese Erkenntnisse sind der Stoff, aus denen Innovationen gewebt werden, er muss nur beschafft werden. Einsatz Schneiderin!

Die Schneiderin verwertet nicht nur diesen Stoff, Umnähen und Anpassungen sind inklusive. Wie in der Schneiderei auch, kommt man immer wieder zusammen, um das Produkt passgenau zuzuschneiden. Im Falle der Nutzungssteigerung außerschulischer MINT-Lernangebote muss das Produkt nicht einer Person, sondern einem ganzen Netzwerk passen. Das bedeutet, viele Expert:innenrunden und viele Perspektiven zu beachten und zu bedienen. Auch hier liefert uns der Elfenbeinturm (Erkenntnis)Stoff, wie dies zu erreichen ist. Die Schneiderin bildet hierbei die wortwörtliche Schnittstelle und gestaltet den Entwicklungsprozess einer (Bildungs)Innovation.

Nun endlich, der MINT-Leitfaden

Wie erhöhe ich die Nutzung außerschulischer MINT-Lernangebote? Indem ich die Sichtbarkeit erhöhe und die Attraktivität hervorhebe. Das ist nicht leicht in Netzwerken, die sich der gesamten MINT-Bildungskette verpflichtet fühlen. Ein Lösungsansatz ist die Nutzung gemeinsamer Kriterien und Standards, sodass sich der vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehende MINT-Wald lichtet – oder sortiert. Einzelne MINT-Lernangebote stehen somit nicht mehr für sich und das unmittelbare Umfeld, sondern bilden Bausteine einer außerschulischen MINT-Bildungslandschaft. Es gibt noch weitere Vorteile einer Sortierung oder Systematisierung, die ich an anderer Stelle ausführlich beschreibe. Der Ausgangspunkt ist also die Entwicklung von gemeinsamen Kriterien. Belastbare Kriterien für Lernangebote finden wir schnell, wenn wir uns im Bildungssystem umschauen: Lehrpläne, Vergleichsstudien, wissenschaftliche Erkenntnisse. Diese Stoffstücke werden mit dem Leitfaden zu einem Konzept verwoben, das mannigfaltige MINT-Lernangebote fächerübergreifend abbildet, was auch verschiedene Expert:innen-Sessions sicherstellen wollten.

Ideenwerkstatt beim #natecDigilog

Das ist alles noch sehr theoriebezogen, hochgestochen und wenig intuitiv. Hier verlässt die Schneiderin mit ihrem Produkt den Elfenbeinturm und erlebt das Abenteuer Transfer. Wer, wenn nicht die Netzwerkpartner:innen selbst, könnten unser Gewebe des MINT-Leitfadens besser auf Herz und Nieren prüfen – oder eben auf Praktikabilität und Verständlichkeit? Der Landesverband für naturwissenschaftlich-technische Jugendbildung (natec) Baden-Württemberg (https://www.natec-bw.de/) hat uns im #natecDigilog eine Plattform geboten, um genau das zu tun. Verschiedene Partner:innen des natec lauschten der Konzeptvorstellung, dachten mit, probierten aus und gaben wichtige Hinweise zu den nächsten Entwicklungsschritten. Zudem fanden sich (ich zitiere) “Versuchskaninchen”, die den MINT-Leitfaden und damit die Sortierung und Systematisierung der Lernangebote konkret anwenden wollen. Eine gemeinsame Terminfindung wird für dieses Quartal -auch über die MINT-Infomail- angestoßen. Zudem wird ein digitaler Fragebogen, der die Schritt-für-Schritt-Anwendung des MINT-Leitfaden ersetzen soll, programmiert. Diese und weitere Hinweise sind wichtige Schnittmuster, die die Passung des Produktes MINT-Leitfaden erhöhen.

Ein- und Ausblicke

Die Runde gab nicht nur Hinweise zum nächsten logischen Schritt – die konkrete Anwendung des MINT-Leitfadens im Netzwerk. Bis dahin gibt es noch einiges zu tun: Die Verschlankung und Vereinfachung des Konzepts. Denn die Praktikabilität und Verständlichkeit gehen einher mit prägnanten Begrifflichkeiten und simplen Strukturen. Auch hier gibt es Vorbilder und Orientierungshilfen wie beispielsweise die MINT-Qualitätsoffensive, die eine Anpassung erleichtern. Ebenso hat sich gezeigt, dass die bisherige Anordnung der Angebote durch ein Raster zu starr und streng ist. Visualisierte “MINT-Bildungslandschaften” werden eher in Würfelform erscheinen, um der Vielfalt der Angebote Rechnung zu tragen. Dies sind nur einige Beispiele für Transferergebnisse, auf die das Team niemals gekommen wäre. Eine ein- und ausgehende Schneiderin verändert jedoch noch keinen Elfenbeinturm, jedoch dann, wenn das Team “Elfenbeinturm” seinen Innovationsstofferkennt und geschlossen in die “Schneiderlehre” geht. So wird aus dem Elfenbeinturm ein Kompetenzzentrum. So wird Transfer gelebt.

Für den MINT-Leitfaden jedenfalls bietet sich im Entwicklungsprozess eine weitere Testphase an, wenn es um die Ebene der letztendlichen Zielgruppen, den Nutzer:innen, geht. Ein konkretes Produkt – ob als visualisierte Bildungslandschaft oder erweiterte Datenbank – hierfür liefert die nächste Transferrunde in diesem Quartal. Ich jedenfalls bin gespannt wie ein Flitzebogen. Interesse an der Teilnahme? Ein kurzer Wink per Mail reicht aus an arndt@ph-heidelberg.de.

Laura Arndt
Laura Arndt

Laura ist seit Januar 2018 im Team von TRANSFER TOGETHER und arbeitet für das Teilprojekt MINT-Bildung auch mal in einem Eisfach-Labor, wo zwar wärmeempfindliche Chemikalien geschont werden – die Laborantin aber nicht. Zu Lauras Projektseite.

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