PARTIZIPATION ALS KOMPOSITIONSPRINZIP

 

Menschenmenge, Gemeinsam, Gesellschaft, unsplash.com, Rob Curran
Wolltet ihr schon immer einmal wissen, wie Musik als kollektives Erlebnis gemeinsam gestaltet werden kann? Kathrin vom Projekt “Lieder aus der Fremde” beschreibt in ihrem neuesten Blogbeitrag ein innovatives Format, wie ihr Musik gemeinsam mit anderen gestalten könnt.

Im Rahmen des Projekts “Lieder aus der Fremde” wurde in den vergangenen Monaten – nicht nur Corona-bedingt – digital komponiert. Entstanden ist dabei ein Werk, das keine Zuhörer kennt, sondern nur Komponisten. Wer zur Aufführung kommt, durchlebt einen vorbereitenden Workshop und wird danach selbst zum Aufführenden. Die Teilnehmer*innen entwickeln verschiedene Stationen der Komposition, die thematische Zuschreibungen erhalten, die ebenfalls von den Teilnehmern selbst festgelegt werden können. So entsteht ein Werk, das sich zwar aus verschiedenen Teilen zusammensetzt, die technische Umsetzung der Komposition lässt diese Einzelteile aber zu einem Großen Ganzen verschmelzen.

Offene musikalische Räume

Die spanisch-schweizerische Komponistin Helga Arias hat den Entstehungsprozess initiiert, vorangetrieben und betreut. Sie entwarf zunächst die technischen Abläufe der Komposition, bei der an vier Aufnahmestationen Klänge, Geräusche und kurze, im Rahmen des Workshops vorbereitete Kompositionen eingespielt werden.

Während des Workshops werden verschiedene Ideen in Form von Videopartituren, Sprach-Anleitungen, Fotoshows, Grafiken etc. besprochen und in Musik verwandelt. Die Teilnehmer*innen erhalten dadurch Anregungen für eigene kleine Kompositionen und Klanginstallationen, die später dann an den Aufnahmestationen eingespielt werden. Musikalisch gibt es dabei keine Grenzen: alles ist erlaubt und die Teilnehmer*innen können ihre Kompositionen individuell gestalten. Dadurch öffnet sich der klangliche Raum für Einflüsse aus verschiedensten Musikkulturen – egal ob westliche klassische Musik, türkische Pop-Musik oder spanischer Flamenco.

Veranstaltungs-Hinweis

Sobald es die Situation wieder zulässt, wird es im Rahmen des Projekts “Lieder aus der Fremde” ein partizipatives Konzert geben. Alle Infos findet ihr auf unserer Event-Seite – oder ihr abonniert unsere Infomail. Schickt dafür einfach eine E-Mail an transfer@ph-heidelberg.de.

Während der Aufführung entscheiden die Teilnehmer dann, wann sie welches musikalische Material und welche im Vorfeld entstandene Komposition in die Mikrofone ihrer Aufnahmestation einspeisen. Die an den Aufnahmestationen entstandene Musik wird an die sogenannten Processing- Stationen weitergeleitet. Dort wird das ankommende Material mit Hilfe einer eigens für die Komposition erstellten App bearbeitet, verfremdet, fragmentiert usw.

Die letzte Station ist die Hauptstation. Hier kommt das in den Processing-Stationen verfremdete und/oder bearbeitete Material an. Die Hauptstation entscheidet, wann was für die Teilnehmer*innen im Raum zu hören sein wird.

Mit Partizipation mehr Menschen erreichen

Es stellt sich vielleicht die Frage, warum eine Komponistin wie Helga Arias eine solche Kompositionsidee konkretisiert, denn mit dem hier beschriebenen Aufbau gibt sie alle Zügel aus der Hand. Das Komponieren wird Aufgabe der Zuhörer*innen, die Komponistin wird zur Workshopleiterin und während der Aufführung zur stillen Beobachterin. Partizipation bedeutet in diesem Fall auch das Abgeben von Souveränität und Verantwortung. Nur so kann Partizipation über ein “Mitmachen-Dürfen” hinausreichen und zu einem aktiven und kreativen Selbermachen werden. Im klassischen Musikbetrieb stellt sich hier in Deutschland seit vielen Jahren die Frage, wie neue Zielgruppen erreicht werden können.

Das überwiegend grauhaarige Konzertpublikum soll diverser werden. Junge Menschen, Familien, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen sollen ins Konzertleben integriert werden. Eine partizipativ angelegte Komposition, die Partizipation als aktives Gestalten versteht, kann Räume für solche Zielgruppen öffnen. Kulturelle, generationale und andere Unterschiede spielen hier keine Rolle: Alle sind eingeladen nach den eigenen Möglichkeiten und Vorlieben Klang zu gestalten und wahrzunehmen, wie der eigene Beitrag in einer großen Klanginstallation aufgeht, sich mit anderem – vielleicht bis dat Fremdem – vermischt und zu einem gemeinsamen musikalischen Werk wird.

Kathrin Schweizer, Team, Transfer Together
Kathrin Schweizer

Mit Musik Toleranz lernen: Kathrin zeigt Kindern und Jugendlichen Musik aus anderen Kulturen und macht deren Vielfalt durch außerordentliche Konzertorte erlebbar. Zu Kathrins Projektseite.

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