KLÄNGE AUS VIER ELEMENTEN

 

Klangwellen, unsplash.com, Pawel Czerwinski
Wie klingen die verschiedenen Eigenschaften von Wasser? Welche Atmosphäre kann Feuer erzeugen? Wie können die unterschiedlichen Konsistenzen von Erde in Klang übersetzt werden? Was haben das Element Luft und unser Atem gemeinsam? Fragen dieser Art haben sich Studierende des Fachs Musik gestellt, als sie mit der Komponistin Helga Arias eine partizipative Klanginstallation erarbeitet haben.

Die Komposition wurde im Rahmen des Projekts “Lieder aus der Fremde” in Auftrag gegeben. Helga Arias konnte sich in einem mehrstufigen Ausschreibungsverfahren gegen ihre Mitbewerber durchsetzen, weil ihr Vorschlag mit seinem offenen technischen Aufbau überzeugte: Für die partizipative Klanginstallation hat Arias vier Aufnahmestationen konzipiert, an denen unterschiedliche Klänge mit Mikrofonen aufgenommen werden können. Es besteht die Möglichkeit, die vier Stationen thematisch miteinander in Verbindung zu bringen. Für die Uraufführung im Oktober hat sich eine Gruppe von Studierenden thematisch für die vier Elemente entschieden, die an den Aufnahmestationen in ihren klanglichen Eigenschaften untersucht und ausdifferenziert werden – dazu später mehr.

Die Komposition

Die an den vier Stationen aufgenommenen Klänge, werden an einen Computer geschickt, wo sie zunächst gespeichert und im Loop abgespielt werden. Vom Computer aus – der Hauptstation, die gewissermaßen das Cockpit der Installation darstellt, von dem aus der Output zentral gesteuert wird – können dann Überlegungen angestellt werden, wie die verschiedenen Stationen miteinander in Beziehung gesetzt werden und wie das Klangmaterial angeordnet werden kann, um der Komposition einen dramaturgischen Verlauf zu geben.

Zu diesen beiden Schritten wird eine weitere Ebene der Klangbearbeitung hinzugefügt. Die Teilnehmenden können die von ihnen aufgenommenen Klänge verfremden und zwar mit einer speziell für die Komposition programmierten App am Tablet. Ausgewählte Soundeffekte, wie Verzerrung, Hall-Effekte, Klangsteuerung im Raum und ähnliches, können intuitiv über die Benutzeroberfäche am Tablet reguliert werden. Diese Station der Klanginstallation bezeichnet die Komponistin als Processingstation.

Die Station ‘Erde’

Die Komplexität, die das Arbeiten auf den drei verschiedenen Ebenen – also Aufnahmestation, Hauptstation, Processingstation – mit sich bringt, führt dazu, dass sich die Teilnehmer:innen und die Komponistin über die genauen Abläufe der Komposition ständig austauschen müssen. Zahlreiche Absprachen müssen getroffen werden: An welcher Station wird wann aufgenommen? Wann werden die Loops abgespielt und mit Effekten verfremdet? Welche Gedanken haben sich die Teilnehmer:innen bei den Aufnahmen gemacht, die von der Hauptstation berücksichtigt werden müssen? Entsteht bereits bei jeder Aufnahme ein Spannungsbogen oder kann vielleicht sogar eine Geschichte klanglich nachvollzogen werden? Aus der Diskussion dieser Fragen entsteht letztendlich ein Gesamtkonzept für die Klanginstallation. Es wird geprobt, aufgenommen, verfremdet, modifiziert, wieder aufgenommen, die Effekte verändert und das alles so lange, bis die Beteiligten das Klangmaterial freigeben.

Die finale Komposition wird dann zentral von der Hauptstation aus gesteuert und an die vier im Raum verteilten Lautsprecher (L1, L2, R1, R2) geschickt. Die Teinehmer:innen können sich währenddessen frei durch den Raum bewegen und die Komposition aus unterschiedlichen Hör-Winkeln erleben.

Blick auf die Hauptstation

Zehn Studierende der PH Heidelberg haben den Prozess begleitet, den diese Komposition durchlebt hat – vom rein technischen Aufbau, über die Themenfindung und das Erarbeiten didaktischer Module, bis hin zur Uraufführung. Die verschiedenen Schritte dieses Rechercheprozesses haben die Studierenden auf individuell gestalteten Online-Blogs festgehalten.

 

Die Aufgabe der Studierenden bestand vor allem darin, den technischen Aufbau der Komposition mit Inhalten und Klängen zu füllen. Zunächst sollte ein Thema gefunden werden, dass die vier Aufnahmestationen miteinander verbindet.

Die Studierenden erstellten auf ihren Blogs einen Stream of Consciousness, um Gedanken und Ideen zunächst ungefiltert und unstrukturiert zu sammeln. Im Anschluss konnten alle Beteiligten ganz einfach über die Blogs in die Gedankenwelt der anderen eintauchen und die entstandenen Ideen gemeinsam diskutieren. Die gemeinsame Arbeit war Corona-bedingt zunächst komplett auf Online-Formate beschränkt, sodass in zwei Zoom-Sitzungen dann schließlich das Thema Die vier Elemente gemeinsam festgelegt werden konnte. Jeder der vier Aufnahmestationen wurde eines der Elemente (Feuer, Wasser, Erde und Luft) zugeordnet. Im nun folgenden Arbeitsprozess sollten die Studierenden sich verschiedene m Gedanken zur musikalischen Umsetzung dieses Themas machen, sowohl was die Struktur und Form anbelangt, als auch Klänge und Geräusche, die in Verbindung mit den vier Elementen stehen.

Aus diesen Überlegungen fertigten die Studierenden dann verschiedene didaktische Module an, die für einen Workshop, der die Arbeit an der Komposition vorbereitet, verwendet werden können.

Diese didaktischen Materialien entstanden in einem experimentellen Prozess, bei dem die Studierenden zu Hause und in der Natur Materialien und Klängen erforschten. Daraus hervor gingen diverse interaktive Module, die die Klangerzeugung an den Aufnahmestationen anregen, vorbereiten und begleiten können. Jedes Modul wurde von den Mitwirkenden praktisch erprobt und gemeinsam reflektiert. Auf den Online-Blogs ist dieses Vorgehen, in Form von elektronische Sound-Collagen, Videopartituren, Fotosequenzen, Videos von Klanginstallationen, Gedicht-Collagen, Farb-Partituren und vielem mehr, dokumentiert.

Die Station ‘Luft’
“Atmosphäre” als künstlerischer Ausgangspunkt

Das genaue Vorgehen für die Klangfindung an den Aufnahmestationen wurde außerdem durch ein Modell unterstützt, das verhindern soll, dass die aufgenommenen Klänge beliebig sind. Ausgangspunkt hierfür ist die Annahme, dass mit Musik bestimmte Atmosphären erzeugt werden können. Auf der Suche nach Klängen sollen sich die Teilnehmer:innen zunächst also eine Atmosphäre vorstellen, die sie mit ihren Klängen und Geräuschen erzeugen möchten. Diese Atmosphäre soll zunächst sprachlich dargestellt werden, wobei auch auf die Wirkung eingegangen werden soll, die mit dieser Atmosphäre bei den Zuhörer:innen erzeugt werden könnte. Außerdem müssen individuelle Fähigkeiten und Möglichkeiten der einzelnen Akteur:innen, die für die musikalische Realisierung ausschlaggebend sind, miteinbezogen werden. Aus diesen Überlegungen entsteht schließlich eine erste Auswahl an Materialien für die Klangerzeugung.

In einer ersten Realisierung wird versucht, die erdachte Atmosphäre musikalisch umzusetzen. Verschiedene musikalische Formen und Vorgehensweisen können dabei zum Einsatz kommen: Komposition, Reproduktion, Improvisation, Performance, Installation und auch das Hinzuziehen anderer Kunstformen und Medien ist möglich, es kann mit Licht, Farbe, sowie bildnerischen und darstellerischen Mitteln gearbeitet werden. Auf diesen ersten Realisierungsversuch folgt eine Reflexionsphase. Es wird evaluiert, inwiefern die nun erzeugte Atmosphäre mit der anfangs imaginierten und versprachlichten identisch ist. Nun können sowohl in der sprachlichen Beschreibung, als auch in der praktischen Umsetzung Veränderungen vorgenommen werden. Die praktische Umsetzung wird als eine Art experimenteller Forschungsprozess verstanden, aus dem neue Ideen für die sprachliche Beschreibung entstehen können. Aber auch der Umgekehrte Weg ist möglich: Eine sprachlich formulierte Idee kann Inspiration und Leitgedanke für die praktische Umsetzung sein. Sprache soll hier als ein Medium verstanden werden, das der künstlerischen Realisierung nicht im Weg steht oder diese einschränkt, sondern als eine Methode der nachvollziehbaren Dokumentation und Reflexion.

Dieser Prozess kann beliebig oft durchlaufen werden und erzeugt Veränderungen und Verbesserungen auf allen Ebenen:

  • Aus der praktischen Erprobung ergeben sich Änderungen in der sprachlichen Beschreibung der gewünschten Atmosphäre;
  • die sprachliche Beschreibung wird noch nicht angemessen in der praktischen Erprobung umgesetzt;
  • neue Ideen entstehen und werden in die sprachliche Beschreibung integriert.

Diese Phase des Probens, Übens und Verbesserns ist also untrennbar mit der Reflexion und Dokumentation des Prozesses verbunden und das Zusammenspiel beider Ebenen trägt zur künstlerischen Weiterentwicklung des Projekts und seiner Aktuer:innen bei.

Die Station ‘Wasser’
Fortbildungsveranstaltung für Musiklehrer:innen

Nach diesem Modell haben die Studierenden, die sich inzwischen über ein gesamtes Semester hinweg mit der Komposition befasst hatten, ihre bereits erarbeiteten didaktischen Module für eine Fortbildungsveranstaltung an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen angepasst. Hierfür wurde die Komposition zunächst in der Festhalle der PH Heidelberg aufgebaut. Die Studierenden hatten so die Möglichkeit ihre überarbeiteten Ideen praktisch zu erproben und gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen. Vor allem technische Details im Aufbau der Klanginstallation mussten überdacht und verändert werden. Die Sensitivität der Mikrofone spielt z. B. eine große Rolle bei der Entscheidung welche Klänge in welcher Lautstärke und mit wie viel Abstand zu den Mikrofonen aufgenommen werden können.

Eine Woche später fand die Veranstaltung in Trossingen statt, die sich in mehrere Teile aufgliederte: Die Teilnehmer:innen erhielten zunächst eine theoretische Einführung durch Stefan Zöllner-Dressler, der das Modell des Arbeitens mit Atmosphären erläuterte. Ich wies auf einen interkulturellen Zusammenhang hin. «Lieder aus der Fremde» entwickelt eigentlich interkulturelle Workshop- und Konzertformate, sowie Unterrichtsmaterialien, die in Kooperation mit Musiker:innen aus anderen Kulturräumen entstehen. Die partizipative Komposition sollte hier ein neues Feld für interkulturelle Musikpädagogik eröffnen, denn in ihrer Offenheit legt sie keine bestimmte kulturelle Verortung der Musik fest. An den Aufnahmestationen können Klänge, Geräusche und Musik aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen gespielt werden. Die Klanginstallation wird so zu einem Begegnungsort und zu einem Spielfeld, wo verschiedenste Einflüsse miteinander interagieren können und gleichberechtigt zu Gehör gebracht werden. Entscheidungsträger sind alleine die Teilnehmer:innen, die den technischen Aufbau der Komposition mit Klängen und inhaltlichen Zuschreibungen gestalten und so bestimmte Atmosphären erzeugen. Die Komponistin Helga Arias erläuterte ihre Überlegung bei der technischen Gestaltung der Komposition.

Im Anschluss an die theoretische Einführung wurden die Teilnehmer:innen in vier Gruppen aufgeteilt und bekamen eine der vier Aufnahmestationen zugewiesen. Die vier Gruppen – Erde, Feuer, Wasser, Luft – setzten sich zunächst inhaltlich mit dem zugeteilten Element auseinander. Inspirierende Spaziergänge durch das Gebäude und den umliegenden Park waren Teil davon. Jede der vier Gruppen versuchte dann eine sprachliche Beschreibung einer Atmosphäre anzufertigen, die verschiedene Eigenschaften des jeweiligen Elements miteinschloss. Es folgte eine Experimentier- und Erprobungsphase an der Klanginstallation. Der kreisförmige Prozess von Reflektion – Dokumentation – Erprobung – Überarbeitung wurde aus Zeitgründen verkürzt durchgeführt.

Die Uraufführung

Die offizielle Uraufführung der partizipativen Komposition von Helga Arias fand dann im Anschluss an die Fortbildungsveranstaltung statt. Akteur:innen an den Aufnahmestationen und Processing-Stations waren die Teilnehmer:innen der Fortbildung, Helga Arias steuerte die Komposition an der Hauptstation. Die Komponistin schaffte es, die Klänge der vier Aufnahmestationen so anzuordnen, dass eine dramaturgisch spannende Aufführung entstand. Die vier Stationen waren dabei sowohl Solisten, als auch Teile eines Gesamtklangs. Sehr transparente und feine Momente wechselten sich mit großen Klangmassen und -verdichtungen ab.

Im Podcast TRANSFER TOGETHER lässt sich auch ein klanglicher Eindruck in die Komposition gewinnen. In dem Video bekommt ihr außerdem Einblicke in die Aufführung:

Kathrin Schweizer, Team, Transfer Together
Kathrin Schweizer

Im Projekt Lieder aus der Fremde zeigt Kathrin Kindern und Jugendlichen Musik aus anderen Kulturen und macht deren Vielfalt durch außerordentliche Konzertorte erlebbar.

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