IST WISSENSCHAFT INSTAGRAMABLE?

 

Instagram, unsplash.com, Luke Chesser
Rund eine Milliarde Menschen tummeln sich laut offiziellen Angaben bei Instagram. Grund genug für Max, einen Blick auf das soziale Netzwerk aus der Facebook-Familie zu werfen und zu fragen: Ist die Plattform für die Wissenschaft interessant? Ein Gastbeitrag des Transferzentrums.

Wissenschaft findet vor allem im geschrieben Wort statt. Egal, ob kurzes Paper, ausufernde Disseration oder die klassische Vorlesung – komplexe Forschungsinhalte werden seit Jahrhunderten verschriftlicht. Ohne Schrift, keine Forschung. Doch während immer mehr Lebensbereiche (auch) in die sozialen Netzwerke wandern, Datenvolumen steigen, Smartphone-Knipser immer leistungsstärker werden und Informationen immer schneller aufgenommen werden wollen, erlebt ein alter Bekannter ein Revival: das Foto. Nirgends zeigt sich das besser als auf Instagram.

Rund eine Milliarde (!) Menschen tummeln sich in dem sozialen Netzwerk. Suchterzeugende Mechanismen, realitätsverzerrender Influencer-Lifestyle, Oberflächlichkeit und der Datenschutz stehen auf der langen Liste an Gründen, warum Instagram kritisch zu betrachten ist. Nichtsdestotrotz, die Nutzer*innenzahlen steigen und steigen. Instagram ist erfolgreich, keine Frage. Viele loben den dort gelebten positiven Mindset, die rege Interaktion und, nicht zuletzt, die Ästhetik. Ohne Instagram, kein Social Web.

Während sich Instagram in die Mitte der Gesellschaft gemausert hat, poppen hier und da auch Kanäle aus der Wissenschaftscommunity auf. Meine Frage daher: Ist Wissenschaft instagramable?

Was ist Instagram?

Ein bisschen Historie: Instagram wurde 2012 von Facebook aufgekauft – gerade einmal zwei Jahre nach Gründung. Offenbar hatte jemand das Potenzial der Plattform erschnüffelt. Wer Instagram damals öffnete, sah vor sich eine schier endlose Aneinanderreihung (Feed) an Fotos oder kurzen Videos, oft aufgehübscht mit Farb- und Kontrast-Filtern.

2016 wurde das Angebot erweitert um die sogenannten Stories: Video- oder Bildbeiträge, die den Betrachter*innen ein paar Sekunden gezeigt werden, bevor das Programm zum nächsten Beitrag springt. Sprich, eine digitale Diashow, allerdings mit der Option die minutiös dokumentierte Fahrradtour des mitteilungsbedürftigen Schwippschwagers zu überspringen.

Nach Einführung der Stories 2016 explodierten die Zugriffe auf Instagram: Innerhalb von zwei Jahren verdoppelten sich die Nutzer*innen weltweit. Allein in Deutschland sind heute rund 15 Millionen Menschen bei Instagram angemeldet, weltweit wurde die Milliarde geknackt. 71% der Nutzer*innen sind jünger als 35 Jahre. Rund sieben Milliarden US-Dollar Werbeumsatz. Ein Drittel der Accounts checken täglich ihren Feed. Die Plattform ist ein Big Player.

Hinweis zu den Zahlen: Offizielle Zahlen von Facebook sind in der Regel nur eingeschränkt nachprüfbar sind und daher nur mit Bedacht zu nutzen. In der Regel werden bei solchen Betrachtungen auch die Zahlen Dritter hinzugezogen, u.a. von Hootsuite mit seinem jährlichen Social Media Report oder Blogs wie AllFacebook.de oder Brandwatch, um ein verlässlicheres Gesamtbild zu erhalten.
Get Visible Or Vanish

Wenn wir die Spielfelder von aktueller Wissenschaftskommunikation ausloten, können wir Instagram nicht ignorieren. Und der (wichtige!) Blick auf Datenschutz und Mediensucht auf der einen Seite sollte immer ergänzt werden um die Potenziale auf der anderen Seite.

Das haben unter anderem Katharina Boele-Woelki (Bucerius Law School Hamburg) und Joseph S. Francisco (University of Pennsylvania) letztens in einem Gastkommentar des ZEIT-Newsletters getan. Unter der Überschrift Get Visible or Vanish betonten sie die Bedeutung sozialer Netzwerke für die Wissenschaft – vor allem für den Nachwuchs: Young scholars are developing their own academic networks to connect, with platforms that allow them to bring their own voices and encourage creativity. These new networks give their work visibility.

Viele nutzen das Netzwerk schon und so gibt es insbesondere im englischsprachigen Raum tolle Beispiele dafür, wie ein Account aus der Wissenschaftscommunity aussehen kann.

Biochemie in lustig – The Bumbling Biochemist

Instagram funktioniert vor allem mit Bildern und es gilt: je menschlicher, desto besser. Das hat die Doktorandin Brianna Bibel (@thebumblingbiochemist) verstanden und beginnt jedes ihrer Bilder mit einem Selfie. Wer aber durch die daran hängende Galerie blättert, findet detailreiche Schaubilder zu einem Thema der Biochemie. Zum Beispiel, wie das Coronavirus funktioniert wie Enzyme eigentlich reagieren. Ihre Art der Wissenschaftskommunikation scheint anzukommen: 26 000 Follower*innen zählt ihr Account.

Leichte Bewegung im Hochschulalltag – Projekt Kopf-Stehen

Kopf-Stehen (@projekt_kopfstehen) ist ein Projekt der Pädagogischen Hochschule Heidelberg mit der Techniker Krankenkasse. Das Ziel: Sitzzeit von Studierenden reduzieren und bewegungsaktives Lernen und Lehren fördern. Ein wichtiger Schritt zur Verwirklichung dieser Ziele ist, für das Thema zu sensibilisieren. Für einen regionalen Account mit einem sehr speziellem Thema hat der Account stolze 300 Follower*innen und postet regelmäßig Bilder aus dem Hochschulalltag, in denen zum Beispiel gezeigt wird, wie man im Home Office auch stehend arbeiten kann oder welche Angebote es an der Hochschule für bewegungsaktives Lernen und Lehren schon gibt.

Mittelalterliches Insta-Takeover – FU Berlin

Der Instagram-Account der FU Berlin (@fu_berlin) veranstaltet regelmäßig sogenannte “Takeovers” (mehr dazu). Letztens war der Mittelalter-Lehrstuhl um Prof. Thomas Ertl an der Reihe. In einer Woche konnten die 22 000 Follower*innen das Team des Lehrstuhls kennenlernen, Einblicke in ihre Forschung gewinnen und obendrein Rätsel rund ums Mittelalter lösen. Ein tolles Beispiel für die Interaktionsmöglichkeiten bei Instagram. Ihre Story könnt ihr euch auch nachträglich noch anschauen.

Bilder gegen Klischees – Women Transforming Science

Unter dem Slogan “This is what a scientist looks like” finden sich auf Instagram viele Bilder von Wissenschaftler*innen, die am oftmals klischeebehafteten Bild (männlich, weißer Kittel, dicke Brillengläser) kratzen möchten. Ein Beispiel dafür ist der Channel Women Transforming Science (@women.transforming.science). Über den Channel werden Bilder von Wissenschaftlerinnen geteilt und “Takeovers” veranstaltet, um zu zeigen, dass in allen Forschungsbereichen Frauen aktiv sind.

Text mit Bild – Wissenschaft im Dialog und Quarks

Die Wissenschaftsinitiative Wissenschaft im Dialog (@wissenschaftimdialog) möchte für das Thema Wissenschaftskommunikation sensibilisieren und vernetzen. Besonders gern bedient sich der Kanal sogenannten Visual Statements, also gut lesbaren, knappen Zitaten oder Informationen in Kombination mit einem Bild oder Video. Wer durch den eigenen Feed scrollt, bleibt eher an solchen Bildern hängen, weil der Text in wenigen Sekunden gelesen ist und ins Auge springt. Ein beliebtes Stilmittel, das u.a. auch Quarks (@quarks.de) die Tagesschau (@tagesschau) gern benutzen.

Wenn Geld da ist – University of Michigan

Wer wissen möchte, was mit viel Geld in den sozialen Netzwerken möglich ist, sollte immer einen Blick auf die Kanäle der University of Michigan (@uofmichigan) werfen. Sie ist quasi das Musterkind von Hochschularbeit auf Instagram, Twitter & Co. Auch Instagram wird von der MichU vorbildlich genutzt, u.a. um Bilder von ihren Studierenden im Ausland zu posten, die stolz das Logo der Uni in die Kamera strecken. Auch der (beeindruckende) Campus ist oft im Fokus, oder es werden aktuelle Themen abgedeckt, wie Women’s History Month. Durch die Bilder versucht die MichU vor allem, unter ihren Mitgliedern ein Zusammengehörigkeitsgefühl (“School Spirit”) zu schaffen. Social-Media-Managerin Nikki Sunstrum gab zur Strategie und Möglichkeiten schon mehrfach spannende Interviews.

Zum Schluss noch ein großes Aber

Instagram hat definitiv auch viele Nachteile. Zum einen könnt ihr die Plattform erst nutzen, wenn ihr euch registriert habt. Damit stimmt ihr gleichzeitig der Nutzung eurer personenbezogenen Daten zu. Das bedeutet für euer Angebot, dass es nur denjenigen zur Verfügung stehen wird, die sich dort auch registrieren. Anders als bei Twitter, das auch ohne Registrierung zumindest vollumfänglich lesbar ist.

Zum anderen hängt auch ein psychologischer Rattenschwanz an dem sozialen Netzwerk: Die Forschung sowie Nutzer*innen weisen seit Jahren auf das Suchtpotenzial des Netzwerks hin. Das ständige Bewerten, das Sammeln von Herzchen und Follower*innenzahlen wirkt sich schon jetzt auf unsere Gesellschaft aus. Eine verstörende Perspektive hierauf warf vor einigen Jahren die Dystopie-Serie Black Mirror in der Folge “Nosedive”. Vielleicht zeigte diese Kritik sogar Wirkung, wie medium kürzlich berichtete. Demnach solle die Like-Funktion bei Instagram bald eingeschränkt werden. Ob es wirklich so weit kommt, bleibt abzuwarten.

Ist Wissenschaft instagramable?

Zurück zur Anfangsfrage. Instagram ist zweifellos ein spannendes soziales Netzwerk mit vielen Möglichkeiten und Raum für Kreativität. Die oben aufgelisteten Kanäle sind nur Beispiele, doch könnte ich die Liste unendlich fortführen. Also: Ist Wissenschaft instagramable? Ich sage, ja. Jedoch solltet ihr immer abwägen, ob sich dieser Schritt für euch lohnt und euch der negativen Seiten gewiss sein.

Wenn ihr den Schritt gehen wollt, werft doch einen Blick auf meinen Artikel über die Erstellung (und den Sinn) einer Social-Media-Strategie. Wenn ihr schon viel weiter seid und noch einen Account kennt, der unbedingt in die Liste muss, schreibt mir gerne.

Max Wetterauer, Team, Transfer Together
Max Wetterauer

Open Science und Social Media sind die großen Baustellen, an denen Max im Bereich Offene Hochschule tüftelt. Wenn ihm die 280 Zeichen auf Twitter mal nicht ausreichen, stillt er seinen Schreibdurst mit Artikeln hier auf dem Blog. Zu Max’ Projektseite.

Verwandte Beiträge

Comments (1)

[…] sich Instagram für Hochschulen und Wissenschaft eignet, habe ich schon in einem eigenen Blogartikel […]

Hinterlasse einen Kommentar